Sexueller Missbrauch und Misshandlungen in der Benediktinerabtei Ettal
Projektbeschreibung
Thema
Beginnend mit den Aufdeckungen sexualisierter Gewalt und Misshandlungen im Canisius-Kolleg in Berlin wurde in Deutschland im Frühjahr 2010 ein Prozess der öffentlichen Skandalisierung ähnlicher Vorkommnisse in weiteren pädagogischen Einrichtungen ausgelöst, darunter auch das Internat/Gymnasium des Kloster Ettal. Nach Jahren des Schweigens begannen auch hier Betroffene, sich zu organisieren und das an ihnen begangene Unrecht öffentlich zu kommunizieren. Bis dahin galt das Internat und Gymnasium des Klosters Ettal als pädagogische Eliteeinrichtung, die über Bayern hinaus bekannt war. Unterstützt durch die mediale Berichterstattung geriet dieses Bild ins Wanken und es stellte sich die Frage nach der institutionellen Verantwortung für die Taten. Neben juristischen Fragen nach Art und Umfang der Missbrauchstaten, nach der Anzahl der Täter und ob diese noch strafrechtlich belangt werden können, stellten sich zunehmend Fragen nach individuellen, institutionellen und gesellschaftlichen Hintergründen, die zu diesen Taten geführt und auch dazu beigetragen hatten, dass diese erst mit deutlicher zeitlicher Verzögerung öffentlich sichtbar und gesellschaftlich thematisiert wurden. Auf Initiative des Vereins der Ettaler Misshandlungs- und Missbrauchsopfer beauftragt das Kloster Ettal das IPP mit einer sozialwissenschaftlichen Aufarbeitungsstudie zur Beantwortung dieser Fragen.
Vorgehen
Um das vielschichtige, historisch mindestens bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs rekonstruierbare Gewaltgeschehen im Kloster Ettal möglichst umfassend aufarbeiten zu können, näherte sich das IPP mit einem qualitativen, reflexiv-sozialpsychologischen und multiperspektivisch angelegten Forschungsdesign dem Themenfeld. Um eine möglichst ausgeprägte Tiefenschärfe des Erkenntnisgegenstands zu erreichen, wurden 32 ehemalige Schüler der Einrichtung, zwei Angehörige früherer Schüler, eine Expertin (Mediatorin des Aufarbeitungsprozess) sowie zwölf Patres, von denen drei für Misshandlungen von Schülern verantwortlich gemacht worden waren, befragt. Die Datenerhebung erfolgte mit Hilfe leitfadengestützter, problemzentrierter Interviews. Innerhalb der Gruppe ehemaliger Schüler fanden sich sowohl solche, die von massiver Gewalt berichteten als auch solche, die die Institution und die dort praktizierte Erziehung nach wie vor idealisierten. Neben den Interviews bildeten zusätzliche schriftliche Materialien die Datenbasis.
Das erhobene Datenmaterial wurde mit Methoden der qualitativen Sozialforschung analysiert und ausgewertet. Der Abschlussbericht umfasst u.a. einen ausführlichen Einblick in das Ausmaß und die Formen der an den Schülern begangenen Gewalt, Erklärungen für das Entstehen und die Aufrechterhaltung von institutionellen Gewaltstrukturen sowie Darstellungen der vielfältigen biografischen Folgen für die Betroffenen.
Der Forschungsprozess wurde von einem Projektbeirat begleitet, der jeweils aus zwei Vertretern des Vereins der Ettaler Misshandlungs- und Missbrauchsopfer, des Kloster Ettals und Mitarbeitern des IPP bestand. Es fanden während des Forschungsprozesses insgesamt 6 Beiratssitzungen statt.
Eckdaten
Arbeitsschwerpunkt
Team
Wolfgang Gmür †, Gerhard Hackenschmied, Dr. Florian Straus, Dr. Peter Caspari, Heiner Keupp
Auftraggeber
Kloster Ettal
Laufzeit
2011–2013